Lange Zeit galt Theo Weirich als exzellenter Zitatgeber, wenn man auf der Suche nach Aussagen war, die der Deutschen Telekom richtig wehtaten. Der Geschäftsführer der wilhelm.tel GmbH nimmt kein Blatt vor den Mund. Umso erstaunlicher war es, als die Telekom und wilhelm.tel eine Kooperation ankündigten. Auch im Interview mit MediaLABcom bleibt sich Weirich treu. Ein Gespräch über „Equivalence of Input“, einen missbrauchten Gesetzgeber und Scheinriesen.
MediaLABcom: Herr Weirich, Anfang März 2022 gaben Sie die Kooperation mit der Deutschen Telekom bekannt. Sind die Vertragsverhandlungen inzwischen abgeschlossen? Steht die Kooperation?
Theo Weirich: Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber die vertraglichen Details sind weitgehend klar. Daher gehe davon aus, dass die Zusammenarbeit zustande kommt.
MediaLABcom: Sie haben in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit nicht mit Kritik an der Telekom gespart. Brach sich der Unmut auf Seiten der Bonner darüber zunächst einmal Bahn, bevor es zu Verhandlungen kam, oder war alles im Sinne einer gemeinsamen Zukunft vergeben und vergessen?
Theo Weirich: Nachtragend zu sein, hilft da wenig. Es war klar, dass auf Dauer ein Wettbewerb, der auf gegenseitiger Verdrängung beruht, gerade im teuren Infrastrukturausbau wenig Sinn ergibt. Und da sind die Telekom und wir, was die DNA betrifft, nicht so weit auseinander. Schließlich geht es in der Telekommunikation auch nicht mehr nur um den Landgewinn, sondern vielmehr um Kooperation.
MediaLABcom: Sind Sie eigentlich auf die Telekom zugegangen oder die Telekom auf Sie?
Theo Weirich: Wir haben bereits 2017 mit den Verhandlungen begonnen. Damals war ich in Bonn und habe mir die Ansprechpartner bei der Telekom herausgesucht. Nach einem Gedankenaustausch ging es recht schnell zur Sache, vor allem angetrieben durch den Ex-Telekom-Vorstand Dirk Wössner, sodass wir uns schnell auf ein Modell geeinigt hatten. Wir hatten damals bereits Kooperationen zur Durchleitung mit Telefónica und 1&1. Also wussten wir auch, wo die Themen liegen.
MediaLABcom: Kunden mit einem Glasfaseranschluss von wilhelm.tel sollen ab Ende 2022 auch Produkte der Telekom buchen können. Bleibt es bei diesem Fahrplan? Wie sehen die anderen Eckpfeiler der Kooperation aus?
Theo Weirich: Der Vertrag ist auf Gegenseitigkeit angelegt, das heißt, wenn die Telekom oder wir ausbauen, ermöglichen wir dem jeweils anderen den Wettbewerb. Wir stellen schon seit mehr als zehn Jahren einen Bitstromzugang, also einen BSA, zur Verfügung. Rund 25 bis 30 Prozent unser Infrastruktur wird von Dritten genutzt. Wir haben also jede Menge Erfahrung damit.
Wichtig für den Vertrag mit der Telekom war die Anerkennung des ‚Equivalence of Input‘. Diese Regelung beinhaltet die Gleichbehandlung aller Endkundenvertragspartner; was wir uns gönnen, bekommen die Wettbewerber auch. Früher hat man Pönalen verwendet, aber das liegt den meisten TK-Anbietern nicht. Also haben wir vereinbart, dass wir die Telekom genauso behandeln wie wir uns selbst, was zum Beispiel die Delays bei Schadensmeldungen, Instandsetzungen oder die Überprüfung von Perfomance-Daten angeht.
MediaLABcom: Heißt das auch, dass die Telekom beispielsweise über Ihre Infrastruktur einen Internetzugang mit 1 Gbit/s anbieten kann oder gibt es hier Restriktionen?
Theo Weirich: Was die Provisionierung betrifft, ist die Telekom völlig frei. Es gibt natürlich auch Kriterien, die von der Performance abhängig sind, aber mit welchen Bandbreiten die Telekom ihre Angebote gestaltet, bleibt ihr überlassen. Ich gehe ohnehin davon aus, dass es langfristig in Glasfasernetzen nur noch Gigabit-Bandbreiten geben wird.
MediaLABcom: In welchen Bereichen galt es in den Verhandlungen mit der Telekom die größten Hindernisse zu überwinden?
Theo Weirich: Für die größten Hindernisse war die Telekom noch nicht einmal selbst verantwortlich, denn die lagen in ihrer Regulierung. Die Beantwortung der Frage, wie passt dieses oder jenes ins Regulierungsregime hinein, hat den Verhandlungsprozess schon verkompliziert, denn was die Telekom mit uns vereinbart, muss sie auch mit anderen vereinbaren können. Zudem ist die Telekom im Umbruch, da ist ein Paradigmenwechsel wie eine Fremdintegration von Netzdienstleistungen schon herausfordernd.
MediaLABcom: Im April 2021 kündigte die Telekom an, in Hamburg 540.000 Haushalte mit Glasfaser versorgen zu wollen. Sind Sie mit der Kooperation dem Überbau Ihrer Infrastruktur zuvorgekommen?
Theo Weirich: Wir sind seit 20 Jahren in der Metropolregion Hamburg tätig und haben in den vergangenen 15 Jahren rund 2.000 Kilometer Glasfaser verlegt. Das hört sich zunächst nicht nach sehr viel an, aber wir haben es hier mit der zweitgrößten Stadt Nordeuropas zu tun. In der Metropolregion haben wir gemeinsam mit willy.tel rund 420.000 Haushalte angeschlossen. Daran sehen Sie: Das ist kein Vorhaben, dass Sie von heute auf morgen umsetzen können.
Wir sind zurzeit in der Lage, pro Woche etwa 1.000 Wohnungen mit FTTH zu versorgen. Das ist die absolute Grenze, die logistisch noch umsetzbar ist. Wenn jemand behauptet, 540.000 Haushalte in zwei Jahren mit Glasfaser versorgen zu können, muss man immer nachfragen, was konkret gemeint ist. Und da werden die Leute recht schnell schmallippig, denn in der Regel sind ‚Homes passed‘ gemeint.
MediaLABcom: Wobei „Homes passed“ ja noch nicht einmal genau definiert ist. Die Glasfaser könnte zehn Meter vom Haus entfernt sein, es könnten aber auch 100 Meter sein.
Theo Weirich: Und wissen Sie, was das in Hamburg bedeutet? Eine Elbquerung dauert gerne mal sieben Jahre. Wenn Ihre Glasfaser unter dem Bürgersteig links von der Straße verläuft, die anzuschließenden Objekte aber rechts von ihr stehen, können Sie die Infrastruktur rechts von der Straße noch einmal bauen. Und das ist nicht nur in Hamburg so. In Großstädten können Sie im öffentlichen Bereich Straßen nur ganz selten queren.
Bei uns zählt der angeschlossene und versorgte Kunde. Nimmt man diese 420.000 Kunden mal zwei, erhält man unsere ‚Homes passed‘. Anhand der Tatsache, wie lange wir dafür gebraucht haben, unsere Infrastruktur aufzubauen, können Sie erkennen, was solche Ankündigungen wert sind. Wir ziehen es vor, den Kunden ohne große Ankündigung anzuschließen. Das ist glaubhafter. Die Norddeutschen geben nicht an, die bauen.
MediaLABcom: Im Infrastrukturwettbewerb mit der Telekom konnten Sie gegenüber VDSL mit höheren und stabileren Bandbreiten sowie niedrigeren Latenzen werben. Das fällt durch die Kooperation weg. Wie wollen Sie wilhelm.tel im Dienstewettbewerb mit der Telekom positionieren und welche Rolle wird dabei der Preis spielen?
Theo Weirich: Sie haben völlig recht. Unser Wettbewerbsvorteil fällt – zumindest im Festnetzbereich. Hier wird der Internetanschluss zum Commodity-Produkt. Aber wir bewegen uns weiter in einen integrierten Markt, in dem wir Konnektivität, Content und cloudbasierte Dienste etablieren. Wir bauen zurzeit das größte WiFi6-Netz für eine Metropole im Norden Mitteleuropas auf. Inzwischen haben wir dafür knapp 7.500 Antennen errichtet und werden noch einmal so viele bauen.
Das bedeutet Connectivity auf allen Ebenen, sodass unsere Kunden stets online sind, ohne sich permanent irgendwo neu einloggen zu müssen. Und das eröffnet natürlich auch neue Geschäftsmodelle. Lokale Clouddienste im Gigabit-on-the-Air-Standard werden den Mobilfunk grundlegend verändern. Das kann ein Großkonzern gar nicht so schnell nachmachen. Wir sind zum Beispiel in Norderstedt seit 2018 Modelkommune für Telemedizin mit Themen wie Telematik und Telemetrie. Seit 2016 haben wir Smart-Grid-Lösungen für intelligente Energienetze und haben in Norderstedt 40.000 Haushalte mit smarten Stromzählern ausgestattet.
MediaLABcom: Mit dem Thema Energie liegen Sie derzeit ja voll im Trend.
Theo Weirich: Auf jeden Fall. Vor zwei Jahren haben noch viele gesagt, das brauchen wir nicht, dynamische Tarife mit Abschaltung wird es in einem zivilisierten Land nicht geben. Das stellt sich mittlerweile etwas anders da. Daran sehen Sie aber auch, welch lange Vorlaufzeiten man benötigt. Und Sie müssen an etwas glauben, was sehr unwahrscheinlich ist und vom Gesetzgeber eventuell auch gar nicht verlangt wird. Ich habe ohnehin die Erfahrung gemacht, dass der Gesetzgeber vieles nur noch schlimmer macht.
MediaLABcom: Auf einen Preiskampf mit der Telekom wollen Sie sich also nicht einlassen?
Theo Weirich: Ich würde mal sagen, dass unser Preisniveau bereits sehr ambitioniert ist. Wir gehen davon aus, dass ein durchschnittlicher Haushalt durch die steigenden Energiepreise in Zukunft eine Mehrbelastung von 2.500 bis 3.000 Euro pro Jahr haben wird. Das kann man an den Terminmärkten nachvollziehen.
Für Telekommunikation stehen den Haushalten zwischen 350 und 400 Euro pro Jahr zur Verfügung. Ich gehe davon aus, dass dieses Budget reduziert werden muss, weil sich die Haushalte TK-Dienste sonst nicht werden leisten können. Das wird ein Problem werden.
MediaLABcom: Auf den Fiberdays 22 hieß es noch, Preiserhöhungen seien auch wegen der Inflation in der Baubranche unumgänglich.
Theo Weirich: Preise in einem wachsenden Markt zu erhöhen, ist wirtschaftlicher Selbstmord. Wir operieren inzwischen aber auf abgeschriebenen Glasfasernetzen. Sie können sich vorstellen, was das bedeutet.
MediaLABcom: Der Mann, mit dem Sie die Verhandlungen zur Open-Access-Kooperation begonnen haben, Dido Blankenburg, ist nicht mehr bei der Telekom. Befürchten Sie, dass mit neuem Personal auch ein Strategiewechsel einhergehen könnte?
Theo Weirich: Ich antworte mal mit Einstein: Es ist möglich, aber unwahrscheinlich.
MediaLABcom: Open Access wird immer wieder als Heilmittel genannt, um Glasfasernetze auszulasten. In den Netzen des Joint Ventures Glasfaser Nordwest werden aber zum Beispiel nur die Produkte der Telekom und der EWE-Töchterunternehmen vermarktet. Und auch durch Aussagen wie vom Deutsche-GigaNetz-CEO Jan Georg Budden auf der ANGA COM, der seine Netze erst nach einigen Jahren für Dritte öffnen will, scheint dem Open Access ein gehöriges „Ja, aber…“ anzuhängen. Wie sehen Sie das? Ist Open Access eine schöne Theorie, die aber zu wenig praktikabel ist?
Theo Weirich: Open Access wird tatsächlich gerne als Allheilmittel gesehen, aber meiner Meinung nach macht Open Access nur im mehrgeschossigen Wohnungsbau Sinn, also in Städten. Dort wird man am Anfang eine Glasfaserinfrastruktur maximal zu 50 Prozent auslasten können. Mit einem BSA und Open Access kommt man auf bis zu 80 Prozent. Auf dem Land sieht das anders aus. Da liegen mehr als 75 Prozent der Kosten auf Seiten des Netzbetreibers. Warum sollte der sich verbrennen, damit es ein anderer warm hat?
Open Access wird an Bedeutung im Basisdienst für sich allein zunehmend an Bedeutung verlieren, da es sich von Anbieter zu Anbieter nur durch zwei Kriterien unterscheidet: Bandbreite und Latenz. Lediglich der OTT-Bereich ist dann entscheidend. Der wird aber generell durch andere Branchen bestimmt und die Wertschöpfung ist da eher geringer.
MediaLABcom: Wie müsste Ihrer Meinung nach gewährleistet werden, dass sich Netzbetreiber dem Open Access zu- und vom Überbau abwenden? Welche Rolle spielt dabei der Gesetzgeber? Den mögen Sie ja nicht unbedingt.
Theo Weirich: Ach, so würde ich das nicht sagen. Sehr häufig wird der Gesetzgeber auch richtig missbraucht, etwa bei der Digitalisierung der Energiewende. Um das entsprechende Gesetz, das vor ein paar Jahren erlassen wurde, hatte die gesamte Energiebranche gebettelt – mit der Folge, dass dann nichts mehr passiert ist, weil wir das schlimmste Datenschutzgesetz am Stromzähler haben, das es gibt. So etwas finden Sie noch nicht einmal in der Telekommunikation. Es führte lediglich dazu, dass sich die Messentgelte verzehnfacht haben. Das will natürlich keiner zahlen.
So etwas geschieht auch in der TK-Branche – Stichwort Mitverlegung, aus meiner Sicht der Überbau im Kleinen. Das Recht auf Mitverlegung hat nur dazu geführt, dass viele abgewartet haben, bis einer anfing, ein Netz aufzubauen, um dann mitzuverlegen. Aber wo findet denn Überbau überhaupt statt? Doch nur da, wo sich ein Netzbetreiber querstellt, andere auf seine Infrastruktur zu lassen.
MediaLABcom: Aus Ihrer Sicht ist Überbau also gar nicht so schlimm?
Theo Weirich: Überbau ist das einzige System, das funktioniert. Wir haben auch andere überbaut. Heute wird der Überbau von Privatinvestoren getrieben, die ihr Geld schnell in den Immobilienbereich anlegen wollen. Immobilien selbst sind zu teuer geworden, also stecken sie ihr Geld in Glasfasernetze und hoffen, dass irgendwann aus den ‚Homes passed‘ ‚Homes connected‘ werden.
Aus meiner Sicht ist der Überbau daher auch nur ein temporäres Phänomen. Wenn die Zinsen steigen, und das zeichnet sich ja gerade ab, ergibt dieses Geschäftsmodell keinen Sinn mehr. Dann findet Überbau wirklich nur noch da statt, wo man sich nicht einigen kann. Aber die Leute werden vernünftiger. Wir haben es mit der Telekom ja auch hinbekommen uns zu einigen.
MediaLABcom: Die Netzbetreiber, die Glasfasernetze bauen, sind meistens Mittelständler, die vor Kooperationen mit Großkonzernen zurückschrecken oder in der Vergangenheit damit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Können Sie diesen Unternehmen die Angst vor der Telekom nehmen?
Theo Weirich: Sie kennen sicherlich Michael Endes ‚Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer‘. Dort taucht der Scheinriese Herr Tur Tur auf, der seine freundliche Art offenbart, je näher man ihm kam. Das ist hier auch so. Mit etwas Zeit, einer gewissen Portion Humor und Selbstironie kann man auch mit einem Scheinriesen Augenhöhe herstellen. Ansonsten gibt es da kein Risiko, außer der Zeit, die man schlimmstenfalls vergeudet.
MediaLABcom: In der Pressemitteilung der Telekom zur Kooperation mit wilhelm.tel werden Sie mit der Aussage zitiert, einen gemeinsamen Standard geschaffen zu haben, der eine breite und freie Auswahl von Festnetzprodukten zur Verfügung stelle. Was beinhaltet dieser Standard konkret, quasi als Blaupause für andere Netzbetreiber, die nach Open-Access-Modellen suchen?
Theo Weirich: Das Bitstrom-Layer-2-Modell, das wir gewählt haben, ist ja bereits standardisiert und von allen führenden TK-Unternehmen akzeptiert. Damit haben wir eine Blaupause. Ich glaube, wir sind die einzigen, die das in Deutschland in großem Stil machen. Der Unterschied liegt nur darin, dass wir das Modell auf Glasfaser umsetzen.
Dadurch ist der Standard ganz simpel: Es gibt nur die Bandbreite, 1 Gbit/s, 2,5 oder 3 Gbit/s usw., eine Latenz von unter 10 Millisekunden oder gar von unter zwei Millisekunden, je nachdem wie man das festlegt, und Prozesse zur Provisionierung, Entstörung usw. Das sollte auch nicht reguliert, sondern eher wie eine Industrienorm gehandhabt werden. Daher treten wir im Bundesverband Glasfaseranschluss dafür ein, diese Norm offen darzustellen.
MediaLABcom: Wie schnell wird Ihre Partnerschaft mit der Telekom Schule machen?
Theo Weirich: Der Drang der Telekom, unsere Kooperation zu veröffentlichen, war relativ stark. Die Resonanz darauf war sehr groß. Ich wurde von einigen aus dem Markt gefragt, wie die Einigung so schnell zustande kam. Dabei haben wir ja seit 2017 darüber verhandelt, wir haben es nur nicht an die große Glocke gehängt. Ich glaube, wer jetzt mit der Telekom Open Access macht, wird unseren Vertrag hinzuziehen. Da wird es keinen anderen Vertrag mehr geben, sodass solche Kooperationen in Zukunft Standard sein werden.
Ich gehe darüber hinaus davon aus, dass es zu Kooperationen in anderen Infrastrukturbereichen kommen wird. Wir bereiten dazu gerade entsprechende Verträge vor. Da geht es um Fragen des Eigentums und der Anlagenwerte. Wenn ich meine Assets, wie zum Beispiel einen Schacht, mit einem Dritten teile, muss gewährleistet sein, dass sie gut verwaltet werden.
MediaLABcom: Vielen Dank für das Gespräch.