Im vergangenen Jahr brachte LobbyControl eine Studie zur Lobbymacht der großen Technologiekonzerne heraus, die sie derzeit insbesondere in den Gesetzgebungsverfahren zum Digital Markets Act (DMA) und zum Digital Services Act (DSA) ausspielen. Max Bank, Mit-Autor der Studie, kritisiert nicht nur die Einflussnahme von Big Tech, sondern auch die Intransparenz der EU in den Gesetzgebungsprozessen. Er warnt zudem vor negativen Auswirkungen auf den deutschen Mittelstand, sollte niemand Big Tech Einhalt gebieten.
MediaLABcom: Herr Bank, laut Ihrer Studie übertreffen in der EU die Lobbyausgaben der Digitalkonzerne inzwischen diejenigen der Auto- oder Pharmaindustrie. Warum fahren Amazon, Google, Facebook und Co. gerade jetzt ihre Geschütze auf?
Max Bank: Die EU plant mit dem DMA und dem DSA die Macht von großen Internetplattformen zu begrenzen. Hinzu kommen weitere Gesetzesvorhaben zu künstlicher Intelligenz und Plattformarbeit, die ebenfalls das Geschäftsmodell der Plattformen betreffen. Insofern haben Amazon, Google, Facebook und Co. viel zu verlieren. Es ist nicht überraschend, dass sie ihre Lobbyarbeit in Europa hochfahren.
MediaLABcom: Wer dominiert innerhalb der Digitalindustrie die Lobbyausgaben?
Max Bank: Es dominieren die großen Plattformen aus dem Silicon Valley. Allein sie geben fast 23 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus. Das sind mehr als 20 Prozent der Gesamtausgaben der Digitalindustrie in Europa für Lobbyarbeit, die bei 97 Millionen Euro liegen.
MediaLABcom: Wie sieht denn die Lobbyarbeit von Big Tech konkret aus? Welche Strukturen lassen sich erkennen?
Max Bank: Google, Facebook und Co. verfügen über ein breites, teilweise völlig intransparentes Lobbynetzwerk. Es besteht aus zahlreichen Verbänden, Lobbyagenturen, Anwaltskanzleien und von Big Tech finanzierten Denkfabriken. Insbesondere die Verbindungen zu Denkfabriken legten die Tech-Konzerne erst auf öffentlichen Druck hin offen. Teilweise bleiben sie undurchsichtig.
Hinzu kommen Imagekampagnen der Plattformen. Allein in Deutschland hat Facebook seit Beginn der Debatten über neue Regeln für digitale Plattformen Printwerbung im Wert von etwa 6,8 Millionen Euro geschaltet. Mit der Image-Aufbesserung will der Konzern die Debatte über strengere Regeln für Internetplattformen in Brüssel beeinflussen.
MediaLABcom: Unter den Top-Ten-Lobbyverbänden befindet sich mit einem Jahresbudget von 300.000 Euro auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom). Wissen Sie, wofür der Bitkom das Geld ausgibt?
Max Bank: Zunächst gilt es festzuhalten, dass der Bitkom auf EU-Ebene 300.000 Euro Jahresbudget für Lobbyarbeit zur Verfügung hat. Es wird noch einiges an Budget hinzukommen, wenn man die Ausgaben in Deutschland dazurechnet. Noch hat sich der Bitkom nicht ins deutsche Lobbyregister eingetragen. Aber bald werden wir mehr dazu wissen; spätestens am 1. März 2022, wenn sich jeder ins Register eingetragen haben muss. Klar ist auch, dass der Bitkom mit dem Geld die Interessen seiner Mitglieder vertritt. Darunter sind alle großen Internetplattformen des Silicon Valley.
MediaLABcom: Wogegen richtet sich die Lobbyarbeit von Big Tech konkret? Wofür setzen sich die Digitalkonzerne ein?
Max Bank: Einfach gesagt richtet sich die Lobbyarbeit von Big Tech gegen neue Regeln, die ihre Macht und ihren Handlungsspielraum begrenzen. Der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton spricht davon, dass es ein Ende der Wildwestmentalität der Plattformen braucht. Da hat er vollkommen recht. Oft agieren große Digitalkonzerne wie Facebook wie im rechtsfreien Raum. Das zeigen auch die immer wiederkehrenden Skandale, in die Big Tech verwickelt ist. Deshalb ist es gut, dass die EU der Wildwest-Mentalität von Big Tech mit Digital Markets Act und Digital Services Act einen Riegel vorschieben will. Entscheidend wird dabei die Umsetzung sein. Hier muss die EU sorgfältig darauf achten, mögliche Schlupflöcher zu schließen.
MediaLABcom: Dass es Softwareanbieter wie Google, Facebook oder Microsoft über ihre Dienste auf Daten abgesehen haben, leuchtet ein. Aber unter den Top Ten der Lobbyausgaben befinden sich auch die Hardwarehersteller IBM, Huawei, Intel und Qualcomm. Sind die auch an Daten interessiert oder worum geht es diesen Firmen?
Max Bank: Selbstverständlich sind die Interessen der Digitalindustrie nicht zu 100 Prozent homogen. Das gilt selbst für Facebook und Apple. Diese Unternehmen sind auch Konkurrenten. Apple versucht beispielsweise durch Datenschutzregeln andere Plattformen aus dem Markt zu drängen. Gleichzeitig muss klar sein, dass die genannten Software- und Hardwareanbieter oft kooperieren und sie ein Grundinteresse eint: so wenig Regeln und Einschränkungen wie möglich für ihre Geschäfte.
MediaLABcom: Huawei bildet eine Ausnahme. Laut der Studie haben weniger als ein Prozent der in Europa lobbyierenden Unternehmen ihren Hauptsitz in China bzw. Hong Kong. Warum investiert Huawei so viel in Lobbying bzw. die anderen chinesischen Tech-Unternehmen so wenig?
Max Bank: Zwei spannende Fragen, die wir uns auch gestellt haben. Wir vermuten, dass die Lobbyarbeit chinesischer Unternehmen oftmals vom chinesischen Staat selbst übernommen wird, sodass sich diese nicht in Lobbyausgaben niederschlägt. Warum dies bei Huawei anders ist, wissen wir nicht. Es könnte daran liegen, dass dem Unternehmen zuletzt immer wieder eine Nähe zum chinesischen Staat vorgeworfen wurde. Die eigenständige Lobbyarbeit würde der Unabhängigkeit des Unternehmens Glaubwürdigkeit verleihen.
MediaLABcom: Mit welchem Narrativ geht Big Tech auf EU-Abgeordnete und die Öffentlichkeit zu?
Max Bank: Facebook und Co. arbeiten systematisch mit zahlreichen Narrativen. Das derzeit wohl wichtigste in der politischen Diskussion ist, dass kleine und mittelständische Unternehmen und Startups die Leittragenden einer stärkeren Regulierung von Big Tech seien. Neue Regeln behindern demnach Innovation. Das Gegenteil ist der Fall: Big Tech will seine Quasi-Monopolstellung verteidigen und Wettbewerb mit innovativen Unternehmen verhindern.
MediaLABcom: Welche Gefahren sehen Sie in der Lobbyarbeit der großen Tech-Konzerne?
Max Bank: Die Macht von Big Tech ist eine Gefahr für Demokratie und Gemeinwohl. Lobbymacht und Marktmacht der Internetplattformen sind entschieden zu groß und verstärken sich gegenseitig. Das verträgt sich nicht mit unserer Demokratie. Wenn die Politik dem nicht jetzt systematisch einen Riegel vorschiebt, könnte es bald zu spät sein. Dann greift die Wildwestmentalität von Big Tech weiter um sich.
MediaLABcom: Wie anfällig sind EU-Abgeordnete für diese Lobbymacht? Gibt es konkrete Beispiele?
Max Bank: Beim Digital Markets Act, der die Macht von Google und Co. entscheidend begrenzen könnte, zeigt sich, dass trotz immenser Lobbyarbeit der Internetplattformen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sehr gute, gemeinwohlorientierte Vorschläge vorgelegt haben. Derzeit stimmen sich Parlament, Rat und Kommission im sogenannten Trilog über den DMA ab. Dieser Prozess ist extrem intransparent. Das ist besorgniserregend, weil undurchsichtige politische Prozesse einseitigen Lobbyeinfluss von Big Tech begünstigen.
MediaLABcom: Erkennen Sie im Rahmen der Gesetzgebung zum DMA und DSA bereits Erfolge der Big-Tech-Lobbyarbeit?
Max Bank: Während die EU beim Digital Markets Act bislang sehr entschieden starke Regeln für Google und Co. voranbringt, macht der Digital Services Act mehr Sorgen. Ursprünglich war beim DSA das Verbot personalisierter Werbung im Gespräch, so wie sie auch der europäische Datenschutzbeauftrage fordert. Das scheint nun infolge immenser Lobbyarbeit vollständig vom Tisch. Bei beiden Gesetzgebungsprozessen ist die Intransparenz des weiteren Gesetzgebungsprozesses besorgniserregend.
MediaLABcom: Die deutsche Wirtschaft ist stark durch kleine und mittelständische Betriebe geprägt. Welche Folgen könnte das Lobbying der Big-Tech-Konzerne in Brüssel auf den hiesigen Mittelstand haben?
Max Bank: Sollte die Marktmacht von Big Tech nicht entscheidend begrenzt werden, werden deutsche mittelständische Unternehmen niemals im Wettbewerb mit den großen Plattformen eine Chance haben. Hinzu kommt, dass ihre Abhängigkeit von Big Tech fest zementiert würde. Die EU hat die Chance die Macht der Internetplattformen entscheidend zu begrenzen. Wenn sie hier versagt, schädigt das den deutschen Mittelstand und die deutsche Wirtschaft auf Dauer.
MediaLABcom: Sie schreiben, dass die Veröffentlichungen von Think Tanks, die von der Digitalindustrie finanziert werden, nicht direkt den Absichten der Digitalkonzerne entsprechen müssen und nennen dazu zwei Beispiele. Der Interessenskonflikt wirke sich aber laut Studie mittelfristig auf die Arbeit der betroffenen Denkfabriken aus. Welche Belege haben Sie für diese These?
Max Bank: Zunächst einmal zeigen wir in unserer Studie auch einige Beispiele auf, bei denen Think Tanks völlig unseriöse, von Big Tech finanzierte Studien veröffentlicht haben, die eindeutig deren Interessen spiegeln. Das European Center for International Political Economy (ECIPE) etwa schätzte die wirtschaftlichen Kosten der zum damaligen Zeitpunkt noch unveröffentlichten neuen Regeln für digitale Plattformen auf 85 Milliarden Euro. Tommaso Valletti, ehemaliger Chefökonom der Generaldirektion Wettbewerb, hat den Bericht ausgewertet und bezeichnete ihn als „lachhaft“.
Wir halten es dennoch auch grundsätzlich für problematisch, wenn zahlreiche wichtige europäische Denkfabriken von der Digitalindustrie finanziert werden und diese sich gleichzeitig mit Gesetzen befassen, die genau diese Branche treffen. „Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing“ ist das passende Sprichwort. Die durch eine finanzielle Unterstützung hervorgerufenen Interessenkonflikte mögen zunächst subtil sein. Sie mögen auch nicht beabsichtigt sein. Doch darauf, wie Denkfabriken sich mittelfristig mit derartigen Gesetzen beschäftigen, könnten sie sich dennoch auswirken.
MediaLABcom: Inwiefern versucht die EU, dem Lobbyismus Grenzen zu setzen?
Max Bank: Die EU hat in den letzten 15 Jahren zahlreiche Regeln für Lobbyarbeit geschaffen. Das ist gut. Die politischen Institutionen sind ethischer geworden. Es gibt ein Lobbyregister, Verhaltensregeln für Abgeordnete und Karenzzeitregelungen für Ex-Kommissare. Die Kommission veröffentlicht auf den obersten Ebenen ihre Lobbytreffen.
Seit der Juncker-Kommission von 2014 gibt es die Vorgabe für die Kommission, bei der Anhörung von Lobbyvertretern auf „Ausgewogenheit“ zu achten. Dem kommt die Kommission jedoch häufig nicht nach. Das ist bedauerlich und wirkt dem Einfluss finanzstarker Lobbyakteure nicht ausreichend entgegen.
Die größte Schwachstelle beim Lobbyismus in der EU bleibt jedoch der Rat, das Gremium der Mitgliedstaaten. Der Rat ist intransparent und legt Lobbyeinfluss nicht offen. Die Mitgliedstaaten verhindern damit umfassende Lobbytransparenz in Europa.
MediaLABcom: Reichen die Bemühungen aus oder wie ließe sich aus Ihrer Sicht die Lobbymacht der Wirtschaft im Allgemeinen und von Big Tech im Speziellen besser begrenzen?
Max Bank: Die Bemühungen der EU reichen nicht aus. Wir fordern, dass die Kommission grundsätzlich und gerade auch in der Auseinandersetzung mit Big Tech proaktiv diejenigen Stimmen stärker einbindet, die aufgrund von geringeren finanziellen Ressourcen nicht so durchsetzungsfähig sind. Wir nennen das die proaktive Einbindung von schwachen Interessen. Sowohl kleine und mittelständische Unternehmen als auch die Zivilgesellschaft sollten stärker eingebunden werden – und zwar systematisch.
Zudem brauchen wir gerade beim DMA und DSA mehr Transparenz des Trilogverfahrens, also der Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und Parlament über die Gesetze. Die Intransparenz des Verfahrens und des Rats im Besonderen könnten zur Verwässerung der neuen Regeln für Big Tech führen.
MediaLABcom: Welchen Beitrag konnte LobbyControl bislang dazu leisten, den Lobbyismus transparenter zu machen?
Max Bank: LobbyControl hat in der EU und in Deutschland Lobbytransparenz entscheidend vorangebracht. Ohne unsere Arbeit gemeinsam mit Bündnispartnern in Brüssel und in Deutschland gäbe es heute kein Lobbyregister auf europäischer und nationaler Ebene. Ähnliches gilt für Regeln bei Seitenwechseln und Interessenkonflikten. Doch wir arbeiten bereits am nächsten Schritt. Wir brauchen nicht nur Transparenz beim Lobbyismus. Wir wollen einseitigen Lobbyeinfluss zurückdrängen und setzen uns für mehr Ausgewogenheit bei der Interessenvertretung ein.
MediaLABcom: Wie schätzen Sie den Einfluss der Tech-Konzerne auf die politischen Entscheidungsträger in Deutschland ein? Wie hat sich deren Lobbyarbeit in den vergangenen Jahren auf dem Berliner Politparkett gewandelt?
Max Bank: Auch auf deutscher Ebene betreiben die Tech-Konzerne viel Lobbyarbeit. Bei den Regeln für Internetplattformen ist die Bundesregierung über den Rat beteiligt. Unser Eindruck: Auch in Berlin wollen Google und Co. mitsprechen. Mehr dazu werden wir sicher mit der Einführung des deutschen Lobbyregisters erfahren. Spätestens am 1. März 2022 sollte Big Tech darin auftauchen.
MediaLABcom: Vielen Dank für das Gespräch.