Es scheint, als stünde ein „Tipping Point“ bevor: ein neues TKG, die Graue-Flecken-Förderung, institutionelle Investoren – das alles wirkt sich auf den Breitbandausbau aus. Henrik Bremer, Geschäftsführer der Wirtschaftsrat Recht - Bremer Woitag Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, berät kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die hier aktiv sind und sich fragen, wie es in Zukunft weitergeht. Im Interview mit MediaLABcom erklärt Bremer, warum die TK-Unternehmen eine Doppelqualität benötigen, die Zeiten regionaler Monopolisten vorbei sind und weshalb der bürokratische Aufwand für die Graue-Flecken-Förderung ein vernachlässigbares Übel ist.
MediaLABcom: Herr Dr. Bremer, Sie beraten kleine und mittelgroße privatwirtschaftliche Carrier sowie kommunalwirtschaftliche Telekommunikationsunternehmen. Wo liegen derzeit die speziellen Herausforderungen für diese Netzbetreiber?
Henrik Bremer: Die bedeutendste firmenübergreifende Herausforderung für KMU im TK-Markt besteht nach unserer Wahrnehmung darin, sich im Zuge der ausstehenden Marktkonsolidierung zu behaupten. Aktuell werden Marktanteile im Wesentlichen noch über den geförderten und eigenwirtschaftlichen Ausbau in weißen und grauen Flecken aufgeteilt. Aber sobald die Erschließung der noch nicht gigabitfähigen Bereiche binnen der nächsten fünf Jahre zumindest projektiert ist, schwenken TK-Unternehmen im Markt für leitungsgebundene Internetprodukte sehr wahrscheinlich um und nehmen Bestandskunden von Mitbewerbern in den Blick.
In geförderten Breitbandnetzen liefert die Open-Access-Verpflichtung ihrer Betreiber hierfür schon heute die rechtliche Grundlage. Daneben schafft die TKG-Novelle mit der symmetrischen Entgeltregulierung ein Instrument, das auch im eigenwirtschaftlichen Bereich regionale Monopolisten zur Öffnung ihrer Netze zwingen kann. Und sobald einmal der Wettbewerb um Kunden entbrennt, die bereits über Breitbandtarife versorgt werden, entscheidet sich die Aufteilung des Marktes maßgeblich danach, wer das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Dies wiederum dürfte zumindest der Tendenz nach davon abhängen, welches Unternehmen aufgrund der Größe seines Netzes und seines Kundenstamms von den stärksten Skaleneffekten profitiert.
Gerade KMU müssen daher ihre Position im TK-Markt überdurchschnittlich schnell ausbauen, um hier nicht strukturell ins Hintertreffen zu geraten. Daraus ergeben sich eine ganze Reihe von Folgefragen: Wie organisiert man eine ausreichende Finanzierung und günstige Tiefbaukapazitäten für weitere Ausbauvorhaben? Welche Wertschöpfungsmodelle ergänzt man neben dem reinen Endkundengeschäft, um sich zusätzliche Standbeine zu verschaffen? Wie kann man zum Beispiel als Reseller bzw. virtueller Netzbetreiber offene Netzzugänge nutzen, um sich neue Kundensegmente zu erschließen? Wie digitalisiert man seine Prozesse so, dass man beispielsweise kosteneffizient Meldepflichten und Open-Access-Vorgaben einhält? Wie minimiert man die nötige Bürokratie zur Einhaltung telekommunikationsrechtlicher Vorgaben infolge der TKG-Novelle?
Für ganz kleine Carrier mit bloß einigen tausend Endkunden lohnt sich unterdessen alternativ die Frage, ob man die Netzinfrastruktur nicht besser ganz veräußert oder sich in einem Joint Venture oder einer ÖPP mit anderen zusammenschließt.
MediaLABcom: In den Glasfaserausbau fließt derzeit viel Geld, sowohl vom Staat als auch von vielen Finanzinvestoren. Das klingt nach goldenen Zeiten. Warum ist die Finanzierung für Netzbetreiber dennoch eine Herausforderung?
Henrik Bremer: Der Breitbandausbau ist enorm kostenintensiv, weshalb sich Glasfasernetze häufig erst nach 30 oder 40 Jahren amortisieren. Für eine Finanzierung muss man also unter Beweis stellen, dass man trotz aller Unwägbarkeiten dieser langen Betriebsdauer das Zeug dazu hat, die Netze profitabel zu bewirtschaften. Es kostet insofern Überzeugungsarbeit, Banken, Investoren oder die öffentliche Hand glaubhaft zu machen, dass ihre Mittel bei einem bestimmten TK-Unternehmen gut aufgehoben sind. Das gilt insbesondere, weil es die Vielzahl der Breitbandnetzbetreiber am Markt mit sich bringt, dass sich private und öffentliche Kapitalgeber tendenziell aussuchen können, in welches Unternehmen sie investieren.
Für die einzelnen Akteure am TK-Markt kommt es deshalb darauf an, hervorzustechen – und zwar mit einer Doppelqualität: Einerseits müssen sie erwarten lassen, dass sie die zu finanzierende Glasfaserinfrastruktur über Jahrzehnte hinweg verlässlich und integer bewirtschaften können. Andererseits benötigen sie eine erhebliche Innovationskraft, um sich in dieser Zeit gegenüber weiteren Disruptionen im Telekommunikationsbereich zu bewähren, die gewiss nicht ausbleiben werden.
Es wäre naiv zu glauben, dass die Wertschöpfung mit der Verpachtung und dem Betrieb leitungsgebundener Telekommunikationsnetze in 30 oder 40 Jahren immer noch genauso funktioniert wie heute. Banken und Investoren, aber auch Kommunen und Kreise als Schleusenwärter der Fördermittel sind sich dessen nach unserer Einschätzung bewusst. Sie vertrauen ihre Gelder deshalb vorzugsweise denjenigen an, die diese Entwicklung proaktiv mitgestalten wollen und können und gleichzeitig das gegenwärtige Geschäftsmodell umfassend beherrschen.
MediaLABcom: Es scheint, als hätten in den vergangenen Monaten speziell privatwirtschaftliche Investoren den Glasfaserausbau für sich entdeckt. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe für diese Entwicklung?
Henrik Bremer: Erstens sehen wir bei institutionellen Investoren wie etwa Versicherungen und Pensionsfonds bisher nie dagewesene Schwierigkeiten, geeignete Anlageobjekte zu finden, die hinreichend ertragsträchtig und zugleich risikoarm sind. Die Corona-Pandemie bedingt, dass die Leitzinsen auf absehbare Zeit historisch niedrig und Kredite günstig bleiben. Das deckt den Kapitalbedarf der Wirtschaft bereits ein gutes Stück weit. Zugleich lässt es die aktuelle Entwicklung bis zur flächendeckenden Immunisierung im Ungewissen, ob und wie schnell sich viele Branchen erholen. Wer nach robusten Anlageprodukten ohne größeres Risiko sucht, hat angesichts dessen momentan wenig Auswahl.
Zweitens beflügelt die pandemiebedingte Verbreitung von Homeoffice, Fernunterricht und virtuellen Meetings das Datenvolumen und mithin die Nachfrage nach hohen Bandbreiten. Die TK-Branche durchsteuert die aktuelle Krise also nicht bloß unbeschadet, sondern erfreut sich sogar beträchtlicher Umsatzsteigerungen. All dies vollzieht sich im Fahrwasser des Großtrends der Digitalisierung, der uns auch nach der Pandemie begleiten wird. Es gehört also nicht viel Fantasie zur Annahme, dass sich die entsprechende Entwicklung fortsetzt und TK-Unternehmen auf absehbare Zeit zu Wachstum und Renditen verhilft.
In einer Zeit mit viel überschüssigem Kapital und wenigen boomenden Branchen sind Investitionen in Glasfasernetzbetreiber deshalb durchaus nachvollziehbar ein verlockendes Angebot (mit wenigen ebenbürtigen Alternativen).
MediaLABcom: Denken Sie, dass sich der Markt langsam überhitzt? Zwar kann man davon ausgehen, dass die Datenvolumina weiter ansteigen, aber eine Garantie für steigende Umsätze ist das nicht unbedingt.
Henrik Bremer: Lassen Sie es mich so ausdrücken: Gerade nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie spiegelt die Bewertung vieler deutscher TK-Netzbetreiber nach unserer Wahrnehmung inzwischen völlig zurecht die Chancen wider, die sich vor allem aus der Breite und Tiefe möglicher Wertschöpfungsmodelle im Endkundenbereich und darüber hinaus ergeben. Unterdessen gehen auch wir davon aus, dass die Risiken derweil nicht bei allen Transaktionen gleichermaßen gewichtet werden. Diese sind aber durchaus vorhanden – zumindest mittel- bis langfristig.
Ich will mich auf zwei Beispiele beschränken: Erstens ist es höchst zweifelhaft, ob im Breitbandmarkt in zehn Jahren noch ein Geschäftsmodell funktioniert, bei dem man eigenwirtschaftlich ausbaut und sein Glasfasernetz anschließend wie ein „closed shop“ als regionaler Monopolist betreiben kann. Die TKG-Novelle gibt der Bundesnetzagentur (BNetzA) jedenfalls schon dieses Jahr das Instrumentarium an die Hand, um in solchen Fällen offene Netzzugänge zu forcieren. Sobald es hierzu kommt, wird jeder Netzbetreiber der Herausforderung ausgesetzt sein, seine Marktanteile bei den Endkunden gegen virtuelle Netzbetreiber zu behaupten. Von DSL- und LTE-Produkten kennt man das Phänomen der Discounter ja bereits. Es würde mich überraschen, wenn der Breitbandmarkt hiervon ausgelassen bleibt.
Zweitens ist nicht auszuschließen, dass der 5G-Mobilfunk oder sonstige Konkurrenztechnologien bei Endverbrauchern zur Alternative für leitungsgebundene Internetverbindungen werden. Immerhin nimmt die Zahl der mobilen Endgeräte weiter zu, während die Verbreitung stationärer PCs seit Jahren rückläufig ist. Es scheint gut denkbar, dass sich etwa manch krisengebeutelter Haushalt ohne Desktop-PC auf eine Flatrate für einen mobilen Datentarif beschränkt und sich ein zusätzliches Breitbandprodukt spart. Inwiefern die Verbreitung von Smart-Home-Geräten dies verhindert, ist unklar.
Ich bin mir insofern unschlüssig, ob die Wertansätze solche Risiken bereits vollumfänglich einpreisen, wenn Netzbetreiber weit vor dem Break-even-Point nach ein paar gewonnenen Förderausschreibungen mit einigen zehntausend Kunden für hohe zwei- oder dreistellige Millionenbeträge gehandelt werden. Insofern kann man durchaus sagen, dass die Marktpreise für TK-Gesellschaften aktuell sehr verkäuferfreundlich sind. Dementsprechend wäre es riskant, darauf zu spekulieren, dass Glasfasernetzbetreiber auf absehbare Zeit so wohlwollend bepreist werden oder sogar noch optimistischer.
MediaLABcom: Die TKG-Novelle sieht den Wegfall der Umlagefähigkeit der Netzbetriebskosten auf die Mietnebenkosten vor. Was verändert sich dadurch für Ihre Klientel?
Henrik Bremer: Gerade im urbaneren Bereich, wo Mietimmobilien dominieren, ergibt sich daraus natürlich ein handfestes Problem für die Herstellung von Hausanschlüssen. Wo die Kosten hierfür schwieriger als bisher langjährig abgetragen werden können, sind natürlich Ausweichlösungen gefragt, um Investitionen auf der letzten Meile nicht zu hemmen. Ich bin allerdings guter Dinge, dass diese letztlich gefunden werden und man das Nebenkostenprivileg zumindest weitgehend kompensieren kann. Wenn sich die Netzbetreiber aufgeschlossen für neue Modelle zeigen, muss es jedenfalls nicht darauf hinauslaufen, dass FTTH-Anschlüsse nur zustande kommen, wo Vermieter eine erhebliche Vorabzahlung leisten, ohne Mieter an den Kosten beteiligen zu können.
Unseren Mandanten raten wir stattdessen beispielsweise dazu, die Herstellungskosten in den Durchleitungsentgelten für Nachfrager offener Netzzugänge einzupreisen. Solange dann ein Mieter überhaupt einen Breitbandtarif nachfragt, was ja meistens ohnehin die Voraussetzung für die Herstellung eines Hausanschlusses ist, gewinnen TK-Unternehmen faktisch die Planungssicherheit zurück, die bisher der Eigentümer dank des Nebenkostenprivilegs gewährte: Denn bis zur Amortisierung erhält der Netzbetreiber dann wahlweise direkt vom Kunden oder für ein BSA-Vorleistungsprodukt ein Entgelt, über das auch die Herstellungskosten kompensiert werden. Mithin wäre der Netzbetreiber gar nicht mehr darauf angewiesen, beispielsweise einen Zehnjahresvertrag mit Grundstückseigentümern zu schließen. Er erhielte die Erschließungskosten nämlich auch bei einem Wechsel des Anbieters zurück – und zwar von diesem.
Die einzige Gefahr bestünde nur dann, wenn ein Kunde seinen ursprünglichen Breitbandtarif ersatzlos kündigt. Das dürfte angesichts der steigenden Nachfrage aber fast nie vorkommen. Freilich erfordert der skizzierte Ansatz eine Umstellung, die sorgfältig unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben zu offenen Netzzugängen vollzogen werden sollte. Wir sind allerdings zuversichtlich, dass wir für unsere Mandanten tragfähige Lösungen entwickeln können.
MediaLABcom: Teilen Sie das Argument, dass für Betreiber auf der Netzebene 4 (NE4) durch die Streichung der Umlagefähigkeit ein Sicherungsinstrument gegenüber kreditgebenden Banken wegfällt?
Henrik Bremer: Zumindest gegenwärtig würde ich die These jedenfalls nicht uneingeschränkt bejahen. Zwar zeichnet sich ab, dass Netzbetreiber nicht mehr auf das bisherige Modell der Umlagefähigkeit setzen können. Für uns als Kanzlei schlägt jetzt aber zunächst die Stunde der Rechtsgestaltung, in der wir für unsere Mandanten tragfähige Alternativen entwickeln. Diese müssen natürlich mit der künftigen Rechtslage harmonieren, die erst noch in Gesetzesform gegossen wird. Aktuell kennen wir ja nur den vom Bundeskabinett beschlossenen Referentenentwurf in der Fassung vom 14. Dezember 2020; zumindest Feinheiten ändern sich infolge der Befassung von Bundestag und Bundesrat mit der Gesetzesinitiative vermutlich noch.
MediaLABcom: Abgesehen von privaten Geldgebern kommen durch die neue Graue-Flecken-Förderung hohe staatliche Zuschüsse in den Netzausbau. Ist das auch für kleine, mittlere und kommunale Netzbetreiber interessant oder wartet hier ein neues Bürokratiemonster auf den Mittelstand und Kommunen?
Henrik Bremer: Natürlich ist das Prozedere des geförderten Ausbaus inhärent bürokratischer als der eigenwirtschaftliche Ausbau. Das bedingen schon die erforderlichen Vergabeverfahren und die Vielzahl der zusätzlich involvierten Akteure verglichen mit einem Ansatz, bei dem ein TK-Unternehmen eigenes Geld in die Hand nimmt und bilateral Planer, Tiefbauer und Materiallieferanten beauftragt oder gar schlicht einen Generalunternehmer einsetzt.
Man darf ein Breitbandprojekt aber nie bloß auf die Projektierungs- und Bauphase verkürzen. Ein Geschäftsmodell, das auf die Errichtung von Breitbandinfrastruktur setzt, hat immer die langfristigen Wertschöpfungspotenziale über die nächsten Jahrzehnte im Blick. Und gemessen hieran ist die zusätzliche Bürokratie in den Anfangsjahren bis zur Inbetriebnahme eines Netzes prinzipiell ein vernachlässigbares Übel. Jedenfalls waren die meisten Kommunen und Kreise schon bisher bereit, den mit den Förderausschreibungen und den Nachweispflichten verbundenen Aufwand bereitwillig einzugehen, um im Gegenzug einen wichtigen Beitrag zur Daseinsvorsorge zu leisten. Und umgekehrt verstehen die meisten TK-Netzbetreiber, dass der Wettbewerb um Marktanteile in der Versorgung der Endkunden zunehmend über die Förderausschreibungen ausgetragen wird. Deshalb nehmen sie ganz überwiegend die Mehrkosten und die Verzögerungen beim Ausbau hierdurch in Kauf.
Sowohl die Zahl der Vergabeverfahren für den Betrieb geförderter Glasfasernetze als auch die Menge an teilnehmenden Unternehmen wächst tendenziell von Jahr zu Jahr. Ich wüsste nicht, wieso im Zuge des geförderten Ausbaus grauer Flecken bei den Beteiligten an dieser Stelle ein Umdenken stattfindet. Das gilt insbesondere, weil noch nie so viele Adressen förderfähig waren wie in den letzten Jahren.
MediaLABcom: Wird aus Ihrer Sicht die neue Förderkulisse den Breitbandausbau in ländlichen Regionen beschleunigen?
Henrik Bremer: Das lässt sich schwer absehen. Tendenziell hat ja bereits die Förderung in weißen Flecken dazu beigetragen, die Versorgungslücke zu schließen. Dem Grunde nach dürfte ein ähnlicher Effekt in grauen, mäßig gut versorgten Flecken zu beobachten sein.
Es gibt aber auch mindestens zwei Faktoren, die die Entwicklung verlangsamen könnten: Zum einen wird es die Corona-Pandemie zumindest einem Teil der Kommunen erschweren, den Eigenanteil aufzubringen – nämlich dort, wo Gewerbesteuereinnahmen zumindest zeitweise wegbrechen. Hier sind innovative Finanzierungsmodelle gefragt, die den kommunalen Eigenanteil im Laufe des Förderprojekts verlässlich zurückführen. Die nötigen Strukturen hat unsere Kanzlei in den letzten Jahren für einige Kommunen konzipiert, denen bereits vor der Krise eine angespannte Haushaltslage den Breitbandausbau erschwerte. Dass derartige Lösungen verfügbar sind, bedeutet aber natürlich nicht, dass jede betroffene Kommune sie sofort ergreift. Wie schnell die Finanzierung neuer Projekte organisiert wird, hängt ganz stark von den verschiedenen Entscheidungsträgern vor Ort ab.
Zum anderen macht die zweistufige Förderung des Ausbaus in grauen Flecken die Abwägung hinsichtlich der geeigneten Struktur noch komplizierter als bisher. Wählen müssen Kommunen diesmal nicht bloß zwischen einer Förderung im Betreiber- oder Wirtschaftlichkeitslückenmodell, was nach 2015 bei der Erschließung weißer Flecken vielerorts bereits Jahre dauerte. Stattdessen müssen Gemeinden und Landkreise beispielsweise auch festlegen, ob sie hellgraue und dunkelgraue Flecken gesondert ausbauen lassen, sich nur auf die stärker unterversorgten hellgrauen Bereiche konzentrieren oder erst einmal abwarten und dann ab 2023 ein größeres Projektgebiet in Angriff nehmen.
Natürlich erscheint es trotz der zunehmenden Komplexität denkbar, dass man dieses Mal schneller zu Entscheidungen gelangt, weil die Verantwortlichen mit der Thematik bereits vertraut sind. Aber wahrscheinlich wird es aufgrund der skizzierten Gemengelage bei den neuen Förderausschreibungen wie in der ersten Runde laufen: Damals waren einige Landkreise schon 2016 vorwegmarschiert, während sich manche Kommunen erst letztes oder vorletztes Jahr auf den Weg begeben haben, um ihre Versorgungslücken zu schließen.
MediaLABcom: Welche eventuell unterschiedlichen Rollen werden mittelständische und kommunale Telekommunikationsunternehmen unter den neuen Förderbedingungen spielen?
Henrik Bremer: Wir erwarten hier in den verschiedenen Regionen ganz unterschiedliche Konstellationen, die maßgeblich von der Ausgangslage dieser TK-Unternehmen abhängen. Im Grundsatz rechnen wir damit, dass in den Rathäusern und Landratsämtern ein gesteigertes Interesse bestehen wird, bei neuen Förderausschreibungen, ortsansässige privatwirtschaftliche oder kommunalwirtschaftliche Betreiber zu bedenken. Dies wird zumindest der Fall sein, soweit sie über eine hinreichende Bestandsinfrastruktur verfügen und man mit ihrer bisherigen Versorgungsleistung im TK-Bereich zufrieden ist.
Je nach Gestaltung des ursprünglichen Pachtvertrags und der finalen Positionierung der atene KOM dürfte es jedenfalls im geförderten Bereich sogar legitim werden, den Betrieb einer Netzerweiterung ohne erneute Ausschreibung direkt dem bisherigen Pächter zuzusprechen. Wer ohne Hausmacht in neue Bereiche expandieren will, muss deshalb am ehesten über Kooperationen mit anderen kleineren Glasfasernetzbetreibern nachdenken. In loserer Form sind solche beispielsweise über Open-Access-Rahmenverträge realisierbar, bei denen sich die Beteiligten wechselseitig die Gelegenheit geben, ungenutzte Kundenpotenziale auszuschöpfen. Kannibalisierungseffekte werden hierbei nämlich meist überschätzt. Engere Formen der Zusammenarbeit kommen alternativ in Gestalt von Verschmelzungen oder Joint Ventures in Betracht.
Gedenkt ein kleinerer Netzbetreiber dagegen, in Regionen ohne starke Bestandsinfrastruktur selbst noch auf den Zug aufzuspringen, dürfte er es schwer haben. Erfolgschancen bestehen hier noch am ehesten, wenn man in den jetzigen Förderausschreibungen für Wirtschaftlichkeitslückenmodelle in weißen Flecken kompetitive Angebote abgibt und sich bei Zuschlagserteilung zumindest eine „Fischgräte“ vor Ort erschließt (etwa bei den jetzigen Vergabeverfahren zur Erschließung disjunkter Gewerbegebiete oder Schulen). Ohne eine solche Basis wird es schwierig, sich in künftigen Förderprojekten zu behaupten.
Verallgemeinernd kann man sagen, dass die Karten in den einzelnen Regionen danach gemischt werden, wer sich dort schon eigenwirtschaftlich oder über frühere Förderausschreibungen eine Präsenz gesichert hat. Wer das für sich nutzt, kann sich weitere Marktanteile sichern. Wer diesen Umstand missachtet oder gar nicht mitspielt, gerät bei der bevorstehenden Marktkonsolidierung wahrscheinlich ins Hintertreffen.
MediaLABcom: Was raten Sie Ihrer Klientel? Worauf muss ein mittelständischer Netzbetreiber achten, wenn er sich eine Strategie für den Netzausbau zurechtlegen will?
Henrik Bremer: Die richtige Strategie richtet sich maßgeblich danach, ob der Netzbetreiber hauptsächlich seinen Status quo bewahren will oder selbst proaktiv expandieren möchte. Gerade Stadtwerke neigen zur erstgenannten Zielsetzung und diese ist in unseren Augen völlig legitim. Gerade weil sich auch die Bewahrung des Bestands aber oft nicht schon durch Untätigkeit erreichen lässt, eruieren wir für solche Mandanten, wie etwa Kooperationen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen den bisherigen Erfolg absichern.
Der Reiz solcher ÖPP-Modelle besteht darin, dass die öffentliche Hand weiterhin ihren Einfluss behalten kann, gleichzeitig aber kapital- und innovationsstarke Partner an Bord holt. Diese bieten etwa die Chance, über offene Netzzugänge die Auslastung und damit die Wertschöpfung kommunalwirtschaftlicher Glasfaserinfrastruktur zu erhöhen. Durch eine engere Zusammenarbeit mit einer Minderheitsbeteiligung eines privaten Unternehmens kann sich die öffentliche Hand darüber hinaus das nötige Kapital sichern, um das eigene Netz nachzuverdichten, ohne die Kontrolle darüber aufzugeben.
Expansionsfreudigen privatwirtschaftlichen TKU raten wir, systematisch zu prüfen, welche Verbreiterungen oder Vertiefungen des eigenen Wertschöpfungsmodells sich nach ihrer Ausgangslage und ihren Stärken besonders für ein nachhaltiges Wachstum anbieten. Wer zum Beispiel Ausschreibungen für Betreibermodelle gewonnen hat und als Pächter mit Vertriebsstärke glänzt, den begleiten wir dabei, Open-Access-Rahmenverträge auszuhandeln und darüber die eigene Kundenbasis zu verbreitern. Ebenso schulen wir solche Unternehmen im Vergaberecht, damit sie in Förderausschreibungen seltener wegen vermeidbaren Fehlern unterliegen, weil sie sich zum Beispiel unter Wert verkaufen.
Netzbetreiber mit ambitionierten eigenwirtschaftlichen Ausbauplänen unterstützen wir bei der Strukturierung ihrer Finanzierung sowie auch dabei, die selbst entwickelte Bestandsinfrastruktur sinnvoll auf örtliche Förderprojekte abzustimmen. Eine geschickte Strategie für Netzbetreiber mit solider Kapitalausstattung sollte nämlich stets einbeziehen, wie man in Markterkundungs- und Vergabeverfahren proaktiv die Erweiterung der eigenen Infrastruktur absichert, statt ihre Überbauung zu riskieren.
Jedwede Strategie muss daneben natürlich darauf bedacht sein, regulatorische und vertragliche Risiken zu minimieren. Zu unserem Tagesgeschäft gehört es deshalb, Verträge mit Netzplanern und Tiefbauunternehmen auszuhandeln und AGB gegenüber Endkunden zu optimieren. Hinzukommt gerade jetzt die Aufgabe, sich auf die Umsetzung der neuen Anforderungen aus der TKG-Novelle vorzubereiten.
MediaLABcom: Worin unterscheidet sich die Wettbewerbssituation in einem grauen von einem weißen Fleck und welche Folgen hat das für den Netzbetreiber, der von der Grauen-Flecken-Förderung profitieren will?
Henrik Bremer: Im Ausgangspunkt ist die Nachfrage in grauen wie in weißen Flecken weitgehend ähnlich. Oft genug liegen die jeweiligen Adresstypen teilweise sogar einfach nur an unterschiedlichen Stellen des gleichen Straßenzugs oder zumindest des gleichen Ortsteils.
Das bereits vorhandene Angebot ist aber definitionsgemäß fundamental anders und damit auch die Marktsituation insgesamt: Wer einen weißen Fleck erschließt, ist dort zunächst im Breitbandbereich faktisch Monopolist, zumal bisher kaum Reseller die offenen Netzzugänge in geförderten Gebieten für Konkurrenzprodukte nutzen. Die vorhandenen Alternativprodukte sind also regelmäßig höchstens DSL-Tarife oder eine Versorgung über LTE-Mobilfunk. Wer dagegen in einst weißen Flecken wirklich schnelles Internet will, kann meist nur zum Betreiber des geförderten Breitbandnetzes gehen, nachdem diese Versorgung erstmalig hergestellt wurde. Insofern überrascht es nicht, dass besagte Betreiber in weißen Flecken oft Anschlussquoten von 70 bis 80 Prozent erreichen.
In grauen Flecken besteht dagegen bereits eine gewisse Breitbandversorgung (zum Beispiel über das Vectoring der Deutschen Telekom). Hier unterscheiden sich die Basistarife des Betreibers eines neuen Glasfasernetzes dagegen allenfalls preislich oder in Fragen der Zuverlässigkeit vom Bestandsangebot. Nur bei besonders hochbitratigen Internetprodukten, etwa solchen mit Downloadraten von 500 Mbit/s oder 1 Gbit/s, käme dem Betreiber des geförderten Glasfasernetzes die Rolle des alleinigen Anbieters zu.
In der Konsequenz lässt das erwarten, dass die Wirtschaftlichkeitsberechnung für Netzbetreiber beim Überbauen grauer Flecken anspruchsvoller gerät: Zwar muss ein Netzbetreiber in der Förderausschreibung weiterhin eine niedrige Wirtschaftlichkeitslücke oder eine hohe Pacht aufrufen, um den Zuschlag zu erhalten. Gleichzeitig wird es aber schwieriger, ähnliche Penetrationsraten zu realisieren und damit Umsatzpotenziale pro Hausanschluss auszuschöpfen wie in weißen Flecken. Um hier im Wettbewerb zu bestehen, ist es für Netzbetreiber also wichtiger denn je, anhand ihrer Ausgangslage ihr Geschäftsmodell feinzujustieren und sich zielgerichtet auf passende Förderausschreibungen zu bewerben, in denen sie ihre strukturellen Vorteile ausspielen können.
Wirtschaftlichkeitslückenmodelle lohnen sich beispielsweise am ehesten für TK-Unternehmen mit weitreichender Bestandsinfrastruktur, die diese als aktivierte Eigenleistung nutzen können. Wem es hieran fehlt, wer aber dafür vertriebsstark ist, kann leichter in Betreibermodellen punkten, indem er eine kompetitive Pacht durch hohe Anschlussquoten aufwiegt und sich durch eine Endschaftsklausel perspektivisch ein Zugriffsrecht auf das Eigentum am Glasfasernetz sichert.
MediaLABcom: Die BNetzA hat kürzlich ihre Grundsätze zur Kostenumlegung bei Mitverlegung veröffentlicht. Bislang haben überzogene Preisvorstellungen diese Option faktisch zum Erliegen gebracht. Kommt nun das Mitverlegen ins Rollen?
Henrik Bremer: Durch den Schritt der BNetzA hat die Mitverlegung gewiss an Reiz dazugewonnen. Inwieweit ihre Bedeutung dadurch zunimmt, wird sich aber erst zeigen. Der Nutzung von Synergien stehen bei der Mitverlegung ja häufig noch basalere Hürden im Wege als auseinandergehende Preisvorstellungen. Praktikabel ist sie nur dort, wo zwischen den Mitverlegenden eine hinreichende organisatorische Verzahnung besteht, um sich effektiv abzustimmen. Das klappt zwischen den Sparten eines insofern horizontal integrierten Stadtwerks sehr gut.
Gewisse Ansätze sehen wir bei kreisweiten Förderprojekten in der Abstimmung der jeweiligen Netzträgergesellschaft mit den kommunalen Bauhöfen. Aber darüber hinaus wird es schwierig, weil vielfach zwischen den einzelnen Versorgungsunternehmen nur sporadisch ausgetauscht wird, wann wer wo Versorgungslinien an Orten verlegt, wo eine Mitverlegung durch anliegende TK-Netzbetreiber Sinn ergibt. Um hier alle Potenziale auszuschöpfen, müssten die Akteure in einer Taktung und einem Umfang Daten zu ihren Bauvorhaben preisgeben, die weit über die Melde- und Auskunftspflichten des TKG hinausgehen.
Die TKG-Novelle geht hier natürlich über bisherige Standards hinaus. Aber ob das ausreicht oder ob für einen Datenaustausch in hinreichender Frequenz die freiwillige Bereitschaft besteht, um im großen Stil mitzuverlegen, scheint uns ungewiss.
MediaLABcom: Die neue Förderkulisse, ein verändertes TKG, neue Rahmenbedingungen für die Mitverlegung. Welche Auswirkungen wird das auf den Glasfaserausbau in diesem und den nächsten Jahren haben?
Henrik Bremer: Wir erwarten vier Trends: Der Glasfaserausbau wird erstens stärker denn je von staatlichem Kapital getrieben. Angesichts der üppig verfügbaren Fördermittel werden private Akteure vielfach in grauen Flecken auf Förderausschreibungen warten, statt die dortige Infrastruktur rein eigenwirtschaftlich zu erweitern.
Zweitens wird sich die Strukturierung von Ort zu Ort noch weiter differenzieren. Bei der Förderung ist nicht mehr bloß die Gretchenfrage zwischen Betreiber- und Wirtschaftlichkeitslückenmodell zu beantworten. Entscheidungsrelevant wird für Kommunen daneben, wie man auf der bestehenden (geförderten) Glasfaserinfrastruktur aufbaut, ob man direkt ein neues Förderverfahren einleitet oder erst bis zur endgültigen Anhebung der Aufgriffsschwelle 2023 wartet, wie man deren Trägergesellschaften und den Netzbetreiber einbezieht, ob man graue Flecken flächendeckend überbaut oder nur selektiv in „hellgrauen Flecken“ verhältnismäßig deutlich unterversorgte Adresse erschließt und so weiter.
In dieser Vielfalt von Gestaltungsvarianten gibt es noch weniger als bisher „die“ eine richtige Förderstrategie. Das Spektrum denkbarer Ausbaumodelle verbreitert sich und daraus ergibt sich auch für TK-Unternehmen eine neue Herausforderung: Sie müssen entweder eine bestimmte „Nische besetzen“, indem sie sich auf eine für sie besonders vorteilhafte Struktur konzentrieren. Denkbar ist hier zum Beispiel für weniger kapitalgepolsterte, aber dafür vertriebsstarke Netzbetreiber, BSA-Vorleistungsprodukte zu ordern und sich als Reseller im Breitbandbereich zu behaupten. Ein solcher Fokus auf passende Marktlücken ist gerade kleineren Netzbetreibern zu raten, die langfristig am Markt eine Rolle spielen wollen.
Eine alternative Strategie besteht darin, sich zum Allrounder zu entwickeln, der sich innerhalb der verschiedenen Fördermodelle und auch gezielt außerhalb derselben im eigenwirtschaftlichen Bereich behaupten kann. Perspektivisch belohnt die Skalenökonomie diesen zweiten Ansatz; er erfordert aber zweifelsohne eine ambitioniertere Expansionsplanung und vor allem das nötige Kapital.
Drittens – und das könnte wie ein Widerspruch zu Punkt 2 wirken – kommt es zu einer Konsolidierung der Netzstruktur. Die jetzt errichtete Glasfaserinfrastruktur wird sich perspektivisch im Eigentum einer zunehmend sinkenden Zahl von TK-Unternehmen konzentrieren. Die Gründe für diese Annahme hatte ich bereits bei Beantwortung der vorherigen Fragen erläutert.
Viertens verlagert sich der Wettbewerb im Markt um die Versorgung von Endkunden mit Glasfaserprodukten: Marktanteile werden künftig nicht mehr danach verteilt, wer einen Kunden zuerst mit Breitband versorgt, sondern danach, wer es zuletzt tut. Anders gesprochen: Die Aufteilung des Marktes richtet sich noch einige Jahre danach, wer wie viel Glasfaserkabel verlegt. Sobald dieser Prozess aber einmal abgeschlossen ist, können TK-Netzbetreiber faktisch nur noch Marktanteile dazugewinnen, indem sie weitere Endkunden außerhalb des eigenen Netzgebiets über Vorleistungsprodukte versorgen. Langfristig erfolgreich werden hierbei nur diejenigen sein, die einerseits auskömmliche und trotzdem zulässige, diskriminierungsfreie Entgelte berechnen und sich andererseits selbst neue Kunden über offene Netzzugänge erschließen.
MediaLABcom: Vielen Dank für das Gespräch.