Ein Porsche in den Straßen Stuttgarts ist nicht ungewöhnlich, doch das Modell, das im Projekt 5G Media2Go zum Einsatz kommt, hat es in sich: den Übertragungsstandard 5G Broadcast. Dr. Roland Beutler, Leiter Strategie Programmverbreitung beim SWR, erklärt im Interview, was er von diesem Projekt erwartet, warum 5G Broadcast für den Rundfunk wichtig ist und wie sich der Standard zu einer Alternative für Content Delivery Networks (CDN) entwickeln könnte.
MediaLABcom: Herr Beutler, die mobile Videonutzung nimmt zwar zu, aber mit 5G stehen den Nutzern hohe Bandbreiten zur Verfügung. Wozu braucht es also 5G Broadcast?
Roland Beutler: 5G Broadcast bietet die Möglichkeit, Content an eine im Prinzip unbegrenzte Zahl gleichzeitiger Nutzer in einer Zelle oder über viele Zellen hinweg auszuliefern. Dies ist insbesondere für lineare Programme interessant. Für uns als öffentlich-rechtlichem Rundfunk bietet 5G Broadcast zudem die Möglichkeit, unsere eigene HPHT-Netzinfrastruktur (High Power, High Tower) - also bestehende Funktürme - zu benutzen.
MediaLABcom: Für Mobilfunkanbieter ist eine hohe Bandbreitennutzung bzw. der entsprechende Datenverbrauch ein gutes Geschäft. 5G Broadcast hingegen ist quasi mobiles Free-to-air-TV und setzt weder einen Mobilfunkvertrag noch eine SIM-Karte voraus. Es entsteht auch kein abrechenbarer Datenverbrauch. Kann es sein, dass Mobilfunkkonzerne 5G Broadcast boykottieren werden?
Roland Beutler: Ich könnte mir vorstellen, dass 5G Broadcast für Mobilfunknetzbetreiber (MNOs) ein Tool zur effizienten Nutzung von Netzressourcen sein kann. Gerade dann, wenn massenattraktive Inhalte übertragen werden sollen, wie zum Beispiel bei Sportveranstaltungen, wird der ein oder andere MNO vielleicht froh sein, seinen Traffic im Netz zielgenauer steuern zu können, indem ein Broadcast-Mode Traffic-Spitzen abpuffert. Ob MNOs meine Einschätzung teilen, kann ich nicht sagen, dazu müssten Sie sie direkt fragen.
Darüber hinaus kommt den Endgeräteherstellern eine wichtige Rolle zu. Heute wird fast die Hälfte der Endgeräte in Deutschland nicht mehr in Kombination mit einem Mobilfunkvertrag vermarktet, sondern die Kunden kaufen sich Endgerät und SIM unabhängig voneinander. Dann kann die Integration von 5G-Broadcast-Funktionalität im Endgerät ein Wettbewerbsvorteil für die Hersteller sein.
MediaLABcom: Welche Rolle spielt 5G Broadcast für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Roland Beutler: Wie bereits erwähnt, erlaubt 5G Broadcast prinzipiell die Nutzung von Features, die unsere regulatorischen Vorgaben widerspiegeln, wie zum Beispiel Free-to-air-Empfang. Das war eines unserer primären Anliegen bei unserem Engagement im 3GPP-Konsortium, in dem Mobilfunkstandards entwickelt werden. Darüber hinaus kann der Rundfunk bzw. können Rundfunknetzbetreiber lineare Inhalte über Rundfunknetze für Smartphones und Tablets verbreiten. Das erlaubt den direkten Kundenzugang ähnlich wie bei klassischen Rundfunktechnologien, nur eben jetzt für die Endgeräte, auf die wir bislang nicht gekommen sind.
MediaLABcom: Wissen Sie, wie groß das Interesse der privaten Rundfunkanbieter an 5G Broadcast ist? Gibt es gemeinsame Aktivitäten zur weiteren Entwicklung des Standards?
Roland Beutler: Es gibt gemeinsame Aktivitäten im Rahmen von Arbeitsgruppen bei der EBU zu 5G, in denen wir bewusst mit der Industrie zusammenarbeiten. Dort sind auch private Rundfunkanbieter aktiv, ebenso wie in 5G-MAG. Wir arbeiten sowohl bei der Nutzung von 5G für die Verbreitung von Inhalten als auch bei der Nutzung in der Produktion mit den Privaten zusammen.
MediaLABcom: Die 5G-Media-Initiative tritt bei Forschungsprojekten nicht auf. Welche Aufgaben nimmt die Initiative wahr?
Roland Beutler: Die 5G Media Initiative wurde nicht gegründet, um aktiv an Forschungsvorhaben teilzunehmen. Vielmehr war das Ziel, eine Plattform ins Leben zu rufen, die das Thema Nutzung von 5G in der Medienindustrie in der Öffentlichkeit thematisiert. In erster Linie geht es um Informationsaustausch innerhalb der gesamten Industrie, von der Produktion, über die Verbreitung bis zur Nutzung auf den Endgeräten. Dazu gehören natürlich auch Diskussionen über Forschungsprojekte.
MediaLABcom: Anfang Oktober 2020 hat der SWR das Projekt 5G Media2Go gestartet, das Sie koordinieren. Was steckt dahinter?
Roland Beutler: Die Ursprungsidee war, dass mit autonomem Fahren, ein neuer, für uns sehr interessanter und wichtiger Anwendungsfall für Medienkonsum entsteht. Wenn Sie morgens in der Zukunft bei Ihrem Sprachassistenten ein Fahrzeug bestellen, das Sie zu einem Meeting bringen soll, dann haben Sie, da Sie nicht mehr selbst fahren müssen, plötzlich Zeit, zu arbeiten, noch eine Runde zu schlafen oder aber Medien zu konsumieren. Uns ist natürlich daran gelegen, dass Sie unsere Angebote nutzen.
Auch wenn dieses Szenario vielleicht noch viele Jahre in der Zukunft liegt, wird heute bereits darüber nachgedacht, wie dieses Umfeld aus technischer Sicht aussehen soll. Für uns war klar, dass wir uns von Anfang an dabei engagieren und einbringen müssen, um sicherzustellen, dass die Anforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks berücksichtigt werden.
Deshalb haben wir ein Projekt auf den Weg gebracht, das auf der einen Seite eine Netzinfrastruktur untersucht, die geeignet ist, alle unsere Inhalte, linear und nichtlinear, ins Fahrzeug zu bringen. 5G Broadcast in Kombination mit zellularem Mobilfunk scheint aus unserer Sicht dazu geeignet. Den Nachweis wollen wir antreten. Neben der reinen Netzebene wollen wir uns aber auch der Integration der angelieferten Dienste auf dem fahrzeugeigenen Infotainmentsystem widmen. Dort soll sowohl lineares Fernsehen empfangbar sein als auch der Zugriff auf die ARD/SWR-Mediathek.
Daneben wollen wir auch einen Anwendungsfall, „Travelguide“ genannt, realisieren, der auf der Basis der Position des Fahrzeugs oder der programmierten Route, geo-referenzierte Empfehlungen für Inhalte in der Mediathek ausspricht. Wir werden mit 5G Broadcast nach 3GPP Release 14 starten, aber es ist geplant, innerhalb der Projektlaufzeit von zwei Jahren auf Release 16 umzusteigen.
MediaLABcom: Welche Unternehmen und Institutionen sind beteiligt? Wie sieht ihr jeweiliger Beitrag aus?
Roland Beutler: Das Konsortium von 5G Media2Go besteht aus DFMG Deutsche Funkturm GmbH, KATHREIN Broadcast GmbH, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG, Südwestrundfunk, Technische Universität Braunschweig – Institut für Nachrichtentechnik und Telekom Deutschland GmbH. SWR, DFMG, R&S, Kathrein und Telekom arbeiten am Netzaufbau, Messfahrten werden von SWR, R&S, Kathrein und TU BS durchgeführt, Porsche stellt ein Fahrzeug zur Verfügung und arbeitet zusammen mit SWR, TU BS und Telekom an der Integration der Dienste auf dem Infotainmentsystem.
MediaLABcom: Baut 5G Media2Go auf 5G Today auf oder wie hängen beide Projekte zusammen?
Roland Beutler: 5G Today war sicherlich ein Meilenstein, weil damit erstmals in Deutschland ein Versuch von 5G Broadcast entsprechend des 3GPP Release 14 gestartet wurde. 5G Media2Go unterschiedet sich davon, als es drei Alleinstellungsmerkmale in einem wegweisenden Projekt vereinigt. Diese sind die Kombination von Rundfunk- und Mobilfunksenderstandorten in einem Gleichwellennetz, die Nutzung von Rundfunkspektrum, und zwar TV-Kanal 40, und die Integration von linearen und nichtlinearen Angeboten auf dem Infotainmentsystem des Fahrzeugs.
MediaLABcom: Was erwarten Sie von 5G Media2Go?
Roland Beutler: Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich der Tauglichkeit von 5G Broadcast zur Verbreitung von linearen Inhalten für Smartphones, Tablets und Fahrzeugen sendet dieses Projekt auch ein starkes Signal an die Herstellerindustrie. Fakt ist, dass heutige Smartphones keine 5G-Broadcast-fähigen Chips enthalten. Ohne diese bliebt das Ganze nur eine schöne Idee. 5G Media2Go soll die Botschaft transportieren, dass es ein gemeinsames Interesse in der Medien-, Fahrzeug- und Telekommunikationsindustrie an 5G Broadcast gibt, um mitzuhelfen, den Markt anzukurbeln.
MediaLABcom: Welche weiteren Anwendungsszenarien sind mit 5G Broadcast noch denkbar?
Roland Beutler: Ein weiterer Use Case, den wir in unserer Projektbeschreibung haben, jenseits von Medienkonsum im Fahrzeug, ist die Verwendung von 5G-Broadcast-Netzinfrastruktur als Backhaul zum Speisen von Cache- und Edge-Servern in Breitbandzugangsnetzen, von denen Inhalte abgerufen werden. Aktuell geschieht das fast ausschließlich über sogenannte Content Delivery Networks, CDNs.
Unsere Kosten dafür skalieren linear mit der Zahl der Nutzungen. Das ist solange noch darstellbar wie Live-Streaming oder On-Demand-Abfragen unserer Inhalte sich auf dem heutigen Niveau bewegen. Sollte sich das stark ändern, was ja zumindest für Mediatheken-Angebote erklärtes Ziel ist, dann wären Alternativen zu traditionellen CDN-Nutzungen sicher willkommen. Ob wir diesen Use Case in Angriff nehmen oder nicht, ist aktuell noch offen. Ich persönlich würde mich freuen, wenn wir die Gelegenheit ergreifen würden.
MediaLABcom: Wäre 5G Broadcast ein Nachfolgestandard für DVB-T2, wenn es der Rundfunkbranche gelingt, die entsprechenden Frequenzkapazitäten zu halten?
Roland Beutler: Sie greifen mit dieser Frage einen Punkt auf, der immer wieder in der Diskussion für Missverständnisse sorgt. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen, 5G Broadcast ist kein 1-zu-1-Ersatz für DVB-T2. T2 ist ein System, das für einen ganz bestimmten Zweck optimiert wurde, und zwar lineare TV-Programme so effizient wie möglich für die stationäre Nutzung zu verbreiten. 5G Broadcast wird für diesen Zweck niemals konkurrenzfähig sein.
Das liegt daran, dass 5G Broadcast seine Herkunft aus dem Mobilfunk nicht leugnen kann. Im Rahmen dessen, was im Mobilfunk möglich ist, bietet 5G Broadcast sicherlich großes Potenzial, wenn es darum geht, einen Rundfunkmodus zu nutzen. Der entscheidende Vorteil von 5G Broadcast ist aber ein anderer. DVB-T2 kann das beste System der Welt sein, wir kommen damit leider nicht auf Smartphones und Tablets, weil dort keine entsprechenden Empfänger integriert sind. Das einzige Rundfunksystem, was dies im Prinzip leisten könnte, ist 5G Broadcast. Ich benutze ganz bewusst den Konjunktiv, weil es, wie bereits gesagt, aktuell leider keine Smartphones zu kaufen gibt, die 5G Broadcast können.
MediaLABcom: Wäre 5G Broadcast auch als Radioübertragungsweg geeignet?
Roland Beutler: Unser Engagement in der Standardisierung von 5G Broadcast war getrieben von TV und nicht von Radio. Das hängt damit zusammen, dass bei Hörfunk die Datenraten so gering sind, dass selbst mit üblichen Mobilfunkverträgen Radiohören auf dem Handy via Streaming in genügendem Umfang möglich ist. Ob die Netzabdeckung das immer hergibt, steht auf einem anderen Blatt.
Anders stellt sich die Situation bei linearen TV-Programmen dar. Wir bieten unsere Streams mit unterschiedlichen Datenraten an, um verschiedenen Nutzungsbedingungen Rechnung zu tragen. Für HD benutzen wir 3,5 Mbit/s. Wenn Sie einen Mobilfunkvertrag mit, sagen wir, fünf Gigabyte Datenvolumen pro Monat haben, was zumindest für Deutschland eher zu guten Verträgen gehört, dann können Sie selbst einfach ausrechnen, wie lange Sie TV schauen können. Das sind in der Größenordnung 10 Stunden pro Monat. Danach müssen Sie Datenvolumen nachkaufen oder die Geschwindigkeit wird gedrosselt auf einen Wert, der TV nicht mehr erlaubt. Natürlich kann man Hörfunk via 5G Broadcast übertragen, aber die treibende Kraft hinter den Entwicklungen ist TV oder Video.
MediaLABcom: Auch in anderen Ländern wird an 5G Broadcast geforscht. Gibt es hier andere Schwerpunkte?
Roland Beutler: Es gibt sicher andere Schwerpunkte. Was alle Projekte zunächst einmal eint, ist der Versuch, ein 5G-Broadcast-Netz aufzubauen und dessen Betrieb und Eigenschaften zu verstehen und zu untersuchen. Bei uns liegt der Fokus auf portabler und mobiler Nutzung, es gibt aber auch Projekte, die eine stationäre Nutzung im Fokus haben. Persönlich bin ich davon nicht überzeugt, wie bereits erwähnt.
Fakt ist allerdings, dass Sie - wenn Sie ein Netz aufbauen, welches eine portable Nutzung erlaubt, - das 5G-Broadcast-Signal natürlich auch mit einer Dachantenne empfangen können. Umgekehrt gilt das nicht im gleichen Maße.
MediaLABcom: In Deutschland werden derzeit 5G-Netze errichtet, wobei es sich dabei mehr oder weniger um eine Erweiterung des heutigen LTE handelt. Könnte man in diesen Netzen schon 5G Broadcast einsetzen?
Roland Beutler: 5G Broadcast ist Teil der 3GPP Spezifikation in Release 14 und 16. Insofern könnte jeder MNO dies implementieren. Ich würde mich freuen, wenn das tatsächlich passieren würde, weil eine solche Ankündigung definitiv den Markt für 5G-Broadcast-fähige Endgeräte auf Trab bringen würde.
MediaLABcom: Kann man schon absehen, wann 5G Broadcast als Standard verabschiedet oder gar ab wann es kommerziell eingesetzt werden kann?
Roland Beutler: Ich bin kein Experte dafür, wie viel Vorlaufzeit die Herstellerindustrie braucht, um 5G-Broadcast-fähige Endgeräte auf den Markt zu bringen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass, wenn der Wille und ein attraktiver Business Case da sind, dies innerhalb von maximal zwei Jahren möglich sein sollte. 5G-Broadcast-Sender gibt es heute schon zu kaufen. Bis dann alles zusammenspielt, wird es aber noch fünf Jahre dauern, damit ein stabiler Markt entsteht.
MediaLABcom: Vielen Dank für das Gespräch.