Nach der Software, Plattform und Infrastruktur als Service (SaaS, PaaS und IaaS) kommt nun von BrightBlue das Fernsehen als Service. Im Interview mit MediaLABcom erklärt die Unternehmensführung um Savio Dias und Martina Rutenbeck, was sie unter TV-as-a-Service versteht, wo sich ihre White-Label-Plattform vom Wettbewerb unterscheidet und welche Herausforderungen durch die zunehmende IPTV-Verbreitung auf klassische Kabelnetzbetreiber zukommen. Und zwischen all diesen Themen spielt tatsächlich der gute, alte Teletext eine nicht unerhebliche Rolle.
MediaLABcom: Herr Dias, Mitte 2018 ist BrightBlue an den Markt gegangen. Es heißt immer, die Ursprünge des Unternehmens lägen bei der Deutschen Glasfaser. Können Sie das konkretisieren? Wie ist BrightBlue entstanden?
Savio Dias: Vor etwa acht Jahren fiel die Entscheidung bei der Deutschen Glasfaser, zusammen mit dem FTTH-Ausbau ein umfangreiches TV-Produkt anzubieten. Dieses musste gegenüber den etablierten Verbreitungsformen natürlich wettbewerbsfähig sein, gleichzeitig aber auch alle neuen Features bieten, die ein Kunde heute vom Fernsehen erwartet: attraktive zusätzliche Inhalte, Apps und Mediatheken, zeitliche Flexibilität, Unabhängigkeit vom TV-Gerät, individuelle Nutzungsformen. Auf Basis des entsprechenden Anforderungskatalogs haben wir unterschiedliche Plattformen geprüft und uns daraufhin entschieden, eine eigene Plattform aufzubauen. Dadurch erreichen wir Unabhängigkeit und können sehr schnell auf neue Entwicklungen und Anforderungen reagieren.
Anfang 2018 wurde die Plattform in die eigenständige BrightBlue GmbH ausgegründet, mit dem Ziel, diesen Komplettservice auch dritten Netzbetreibern anzubieten. Seit Juni 2018 sind wir als B2B-Dienstleister auf dem Markt und bieten ein hochmodernes State-of-the-Art-Produkt, das über zwölf Jahre Entwicklungszeit und entsprechende Investitionen erfordert hat. Diesen Aufwand will BrightBlue mit ihren individuellen IPTV-Angeboten nun anderen Telekommunikationsunternehmen ersparen.
MediaLABcom: Wie sieht heute die Geschäftsbeziehung zur Deutschen Glasfaser aus?
Savio Dias: Wir platzieren uns als eigenständiger Dienstleister auf dem europaweiten B2B-Markt. Für die Deutsche Glasfaser ist BrightBlue einer von zahlreichen Providern; wir liefern das Vorleistungsprodukt „IPTV“ mit allen Funktionalitäten und sind in diesem Produktbereich Full Service Provider. Alle Dienstleistungen, die wir für die Deutsche Glasfaser erbringen, stellen wir auch im selben Umfang unseren B2B-Partnern zur Verfügung, ohne Einschränkungen.
MediaLABcom: Frau Rutenbeck, Sie bieten eine White-Label-IPTV-Plattform für Internet Provider, Netzbetreiber und City Carrier an. Wie sieht diese Plattform aus?
Martina Rutenbeck: Mit der BrightBlue-Plattform verfolgen wir das Ziel, unseren B2B-Kunden einen echten End-to-End-Dienst anzubieten. IPTV und OTT sind wesentlich komplexer als eine DVB-Verbreitung, der Funktionsumfang und die Anforderungen zum Beispiel an das Backend sind ungleich höher. Das Programmangebot muss auf dem gleichen Level sein zu dem im Kabel und über Satellit; die Komplexität entsteht durch das Management zahlreicher Endgeräte, deren Authentifizierung und Updates sowie die zahlreichen personalisierbaren Features wie Favoriten, Apps und Empfehlungen. Auch die Zusatzfunktionen, die die Sender im unterschiedlichen Umfang zur Verfügung stellen, wie Restart, Replay und PVR, müssen entsprechend pro Sender auf der Plattform gesteuert werden. Seit diesem Sommer ist die Plattform auch per Smart-TV-App auf Android-TV-Geräten empfangbar. All diese zusätzlichen Möglichkeiten bilden den USP von IPTV.
Natürlich kommt BrightBlue hier zugute, dass diese umfangreichen Entwicklungen und Investitionen durch die Deutsche Glasfaser im Vorfeld der BrightBlue-Gründung bereits getätigt wurden. Es versetzt uns in die Lage, ein mandantenfähiges System anzubieten, in dem unsere Partner ihren Endkunden gegenüber ein quasi eigenes IPTV-Produkt anbieten und „ihre“ Plattform selbständig managen können.
MediaLABcom: Wie viele und welche TV-Sender bieten Sie derzeit in welcher Auflösung an?
Martina Rutenbeck: An Bord sind – derzeit für Deutschland und die Niederlande – über 300 TV-Sender, davon mehr als 125 in HD, über 150 Radiosender und mehr als 50 Apps sowie Cloud-basierte interaktive Funktionen. Auch TV-Streaming in 4K-Qualität steht vor der Einführung; hier wird es in Kürze ein Paket für den deutschsprachigen Markt geben.
MediaLABcom: Welche Programme hätten Sie noch gerne im Portfolio?
Savio Dias: Im Hinblick auf Senderanzahl und -vielfalt sind wir bereits gut aufgestellt, wir sind aber auch offen, mit weiteren interessanten Spartensendern zusammenzuarbeiten und unser UHD-Paket zu ergänzen. Je nach Standort unserer B2B-Kunden werden wir auch weitere regionale und lokale Sender aufschalten. Die Priorität unserer Roadmap liegt derzeit auf der Integration von Streaming- und on-Demand-Diensten. Außerdem werden wir eine hybride Set-Top-Box mit IP und DVB-C anbieten, um den Anforderungen in der Wohnungswirtschaft gerecht zu werden.
MediaLABcom: Welche Dienstleistungen bietet BrightBlue rund um die White-Label-Plattform an?
Martina Rutenbeck: Neben der schlüsselfertigen technischen Bereitstellung, Betreuung und Optimierung stehen wir unseren Kunden mit Beratungsdienstleistungen rund um Vermarktung und Kundenbetreuung zur Seite. Nach der Übergabe der Signale an unseren Colocation-Standorten stellen wir diverse technische Dienstleistungen zur Verfügung, um die Qualität des Signals in den FTTH-Netzen zu unterstützen, wie zum Beispiel einen 24/7 Second Level Support. Damit der Netzbetreiber seinen Kundenservice vor Ort optimieren kann, findet er in unserem B2B-Portal Tools wie „Looking Glass“, mit dem er den Status des IPTV-Dienstes beim Endkunden prüfen kann und hier auch direkt auskunftsfähig ist, zum Beispiel zur aktuell anliegenden Bandbreite oder Problemen bei einem einzelnen TV-Sender. Auf diesem B2B-Portal werden auch zentrale Dokumente bereitgestellt, um Geschäftsabläufe möglichst effizient zu steuern.
Des Weiteren gibt es eine ganze Reihe von vorbereiteten Marketing-Tools, mit denen er das Produkt – unter seiner Marke und innerhalb seiner Produktwelt – bewerben und vermarkten kann. Dies ist aus meiner Sicht eine ganz wesentliche Unterstützung, da in jedem FTTH-Haushalt natürlich bereits TV geschaut wird und der Netzbetreiber IPTV im Wettbewerb anbietet. Auf diese Tools kann jeder Kunde sofort zugreifen, um mit kurzem Vorlauf für die individuelle Anpassung on- und offline seine Marketingaktivitäten zu starten.
MediaLABcom: : Ihre IPTV-Technologie wird als breitbandoptimiert beworben. Was heißt das konkret?
Savio Dias: Zum einen arbeiten wir mit einer „adaptive bitrate“, wir können also die Übertragungsbandbreite für die Sender anpassen. Dies wirkt sich zum Beispiel so aus, dass wir im Fall von Netzproblemen die Bandbreite eines Senders verringern können, um sicherzustellen, dass der Zuschauer trotz der Netzprobleme Empfang hat. Zum Zweiten können wir über das eigene CDN, über das wir alle Sender zuführen, den Content ganz nah an die angeschlossenen Netze bringen und damit schnelle Umschaltzeiten wie bei Multicast gewährleisten.
MediaLABcom: Wodurch unterscheiden sich Ihr Produkt und Ihre Dienstleistungen von denen der Mitwettbewerber?
Martina Rutenbeck: Durch den Start der IPTV-Plattform bereits im Jahr 2014 können wir auf eine mehrjährige Erfahrung bei der Versorgung einer fünfstelligen Kundenzahl aufbauen, das heißt die Kunden profitieren von der Stabilität und Zuverlässigkeit der Plattform. Nach der Vertragsunterzeichnung gibt es einen sauber strukturierten Implementierungsprozess; von Kundenseite wird uns bestätigt, dass diese Systematik sehr hilfreich ist und die meisten auch von der Geschwindigkeit der Implementierung profitieren, etwa in den eigenen Verpflichtungen gegenüber Wohnungswirtschaft und Endkunden. Ca. zwölf Wochen nach Vertragsabschluss kann unser B2B-Partner das komplette IPTV-Produkt an seine Kunden liefern.
Die Nutzung der Plattform ist bereits seit einigen Monaten auch über den Amazon-Fire-TV-Stick möglich; diese Anwendungsform nutzen TV-Zuschauer gerne als quasi unsichtbare Alternative zur Set-Top-Box.
Ein weiterer USP besteht in der Modularität, das heißt, ein B2B-Partner kann auch auf einzelne Komponenten wie das Backend zurückgreifen, wenn ihm dieses in seiner eigenen Konzeption bisher fehlt. Ein weiteres Beispiel: Das Grundversorgungsprojekt werden wir so konfigurieren, wie es in der jeweiligen Produktplanung benötigt wird, in DVB-C oder als IPTV plus die weiteren Produkte als IPTV, für eine Modernisierung der existierenden TV-Versorgung.
Und noch zu einem Klassiker des etablierten TV: Videotext; dieses Informationsmedium wird nach wie vor von vielen Zuschauern genutzt und gehört zum Anforderungskatalog der Programmanbieter. Auf IPTV ist die Umsetzung komplex, aber bei BrightBlue haben wir auch dieses realisiert und können unsere Kunden von entsprechenden Nachfragen im Call Center entlasten.
MediaLABcom: Sie richten sich mit BrightBlue an kleine und mittelständische Telekommunikationsunternehmen. Welche Vorteile haben die von Ihren Produkten und Dienstleistungen?
Martina Rutenbeck: Unser modulares IPTV-Produkt ist auf mittelständische Telekommunikationsunternehmen zugeschnitten, die nicht auf die teuren Gesamtpakete der großen Anbieter angewiesen sein wollen. Wir bieten ihnen ein Produkt, das eine hohe Relevanz beim Endkunden besitzt: eine „TV-as-a-service“-Plattform, die den Beweis ihrer Leistungsfähigkeit und Stabilität bereits erbracht hat und ausgereift ist. Da wir einen White-Label-Ansatz verfolgen, können alle Plattforminhalte und -dienste bis hin zu den Apps unter dem jeweils eigenen Branding des B2B-Partners angeboten werden, so dass der Endkunde niemals BrightBlue wahrnimmt, sondern immer die Dienstleistung seines regionalen Netzbetreibers bzw. Stadtwerks.
Je nach Umfeldanforderungen eines Unternehmens kann das IPTV-Angebot auch weiter individualisiert werden, zum Beispiel mit zusätzlichem lokalen Content oder Client-Software. Dabei spielt die Größe des B2B-Partners keine Rolle, unser Geschäftsmodell ist in den wesentlichen Punkten variabel, damit skalierbar und wirtschaftlich deutlich attraktiver als andere Plattformangebote.
Für Unternehmen, die sich gegen ein eigenes IPTV-Angebot entschieden haben oder nicht über die nötigen Ressourcen verfügen, das Produkt aber dennoch für ihr Gesamtportfolio benötigen, bieten wir seit kurzem auch ein Reseller-Modell an. In diesem Fall wird ein B2B-Partner der BrightBlue-Betreiber und Vermarkter für kleinere Stadtwerke und Netzbetreiber; sie können somit als Dienstleister gegenüber ihren Endkunden auftreten, ohne sich jedoch mit allen operativen Fragen auseinandersetzen zu müssen.
MediaLABcom: Wie hat sich BrightBlue seit der Gründung entwickelt? Wen können Sie in Deutschland bereits zu Ihren Kunden zählen?
Savio Dias: Die Nachfrage ist seit Mitte 2018 deutlich gestiegen, bei den Vertragsabschlüssen liegen wir über Plan. Viele Kunden und Interessenten vertrauen darauf, dass wir ihnen ein ausgereiftes Produkt anbieten, dass wir dieses ständig weiterentwickeln und sie mit unserer Betriebserfahrung unterstützen. Obwohl wir wirklich noch nicht lange im Markt sind, konnten wir bereits 23 B2B-Kunden gewinnen, sechs davon in den Niederlanden. Zu unseren Kunden in Deutschland zählen beispielsweise inexio, RFT Brandenburg und ropa.
MediaLABcom: Sie setzen voll und ganz auf IP. Wie sehen Sie die Zukunft für DVB-basierte TV-Produkte?
Martina Rutenbeck: Kabel- und Satellitenempfang sind natürlich derzeit die Verbreitungswege mit der höchsten Reichweite im linearen Fernsehen. Es ist aber offensichtlich, dass der Endkunde immer anspruchsvoller wird, um den Begriff „disruptiv“ zu vermeiden: Zeitliche Unabhängigkeit, personalisierte Features, mobile Devices als „first screen“ in den jüngeren Zielgruppen sind ein Muss in der modernen TV-Nutzung. Die Programmanbieter haben darauf bereits mit differenzierten Angeboten in Form eigener Streaming-Dienste reagiert; für einen Plattformanbieter ist die Aufgabe, ein möglichst breites Spektrum davon in der eigenen Plattform aufzunehmen und den Endkunden größtmöglichen Komfort beim Zugang anbieten zu können. Daher werden Kabelnetzbetreiber mittelfristig im eigenen Interesse IPTV-Dienste auf einer hybriden Plattform parallel anbieten oder Migrationskonzepte implementieren müssen.
MediaLABcom: BrightBlue agiert nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. In welchen Ländern außerhalb Deutschlands sind Sie aktiv? Wer zählt hier zu Ihren Kunden?
Savio Dias: Unser Kernmarkt ist zurzeit auf jeden Fall Europa, neben Deutschland und den Niederlanden mit bereits aktiven Kunden. In weiteren Märkten laufen aktuell Verhandlungen. Im nächsten Schritt sehen wir in den USA sowie in Indien konkretes Potenzial für uns.
MediaLABcom: Apropos Potenzial: Hierzulande existiert bereits eine stattliche Zahl an IPTV-Lösungen. Welches Wachstumspotenzial sehen Sie für den deutschen B2B-Markt oder gehen Sie davon aus, dass er gesättigt ist und eine Konsolidierung bevorsteht?
Savio Dias: Aus unserer Sicht ist der Markt mit Blick auf modernes TV bei weitem nicht gesättigt. Natürlich hat jeder Haushalt Zugriff auf eine oder mehrere etablierte TV-Empfangsformen, aber diese werden dem sich ändernden Nutzungsverhalten stellen müssen. IPTV steht noch am Anfang seiner Verbreitung, und dieses Momentum wird auch nicht auf lange Sicht bestehen; wir merken aber seit dem letzten Jahr, dass das Bewusstsein für die Bedeutung von TV und die Nachfrage nach ausgereiften, wirtschaftlichen und individualisierbaren Lösungen deutlich anzieht.
MediaLABcom: Wie hat sich die B2B-Nachfrage für IPTV-Produkte in den vergangenen Jahren entwickelt und wo geht die Reise Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren hin?
Martina Rutenbeck: Nach einigen eher verhaltenen Ansätzen ist die Nachfrage insbesondere in diesem Jahr deutlich gestiegen; wir rechnen damit, dass diese in den nächsten zwei bis drei Jahren weiterwächst. Diese Entwicklung werden wir durch weitere Investitionen, wie etwa in sprachgesteuerte Funktionen via Google und Alexa, forcieren.
Netzbetreiber werden mit eigenen B2C-Angeboten und parallel zur Open-Access-Diskussion, unterstützt durch Dienstleister wie BrightBlue, mehr Wertschöpfung selbst realisieren; zum einen um mit Diensten wie TV höhere Bandbreiten zu verkaufen, zum anderen um durch Bundling die Kundenbindung für ihre Access-Produkte zu erhöhen.
MediaLABcom: Vielen Dank für das Gespräch.